Europatour 2017
Teil 1 - Herbstfahrt durch Böhmen
Es ist kein Zufall, dass uns das erste Stück unserer Reise durch Tschechien führt. Vor genau fünfzig Jahren wurde in der DDR die Visafreiheit für Reisen in das erste seiner "Bruderländer" eingeführt, in die Tschechoslowakei. Damit eröffnete sich für uns Ossis über 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges das erste kleine Türlein im mehr oder weniger fest gewebten Vorhang, der uns umgab. Ausgestattet mit Studentenausweis und kleinem Köfferchen fuhren wir gleich erstmal nach Prag. Und staunten, dass manches anders war - anders, als wir es bis dahin gewöhnt waren. Schon mal anders, dass es in Prag Bananen zu kaufen gab und keine Schlangen vor dem betreffenden Laden zu sehen waren. Unsere erste Tüte Bananen, die nicht unter dem Ladentisch hervor geholt wurde. Sehr bemerkenswert auch, dass die jungen Tschechen in ihren Ansichten viel weiter gingen, als wir es gewagt hätten, laut auszusprechen. Ihr "Prager Frühling" war allerdings ein Jahr später mit Gewalt beendet worden - das ahnten damals weder sie noch wir.
In den Folgejahren sind wir oft durch die "Tschechei" gefahren, später auch mit unseren Kindern, und hatten dabei viele schöne Erlebnisse. Deshalb also dieses Mal eine Homage an unsere Erinnerungen, wenn wir zuerst einen direkten Südkurs einschlagen. Kurs Südböhmen.

Wir lassen uns Zeit zum Schauen, rasen nicht über die nun endlich fertige Autobahn zwischen Dresden und Prag, sondern nehmen die alten, vertrauten Wege. Über Zinnwald queren wir das Erzgebirge, lassen die Landschaft in ihrer herbstlichen Färbung genussvoll an uns vorüber ziehen, gelangen hinunter nach Teplice fahren im Zickzack über Louny, Slany, Kladno und Pribram zielstrebig nach Ceske Budejovice. Mit Budweis und Umgebung verbinden uns eine Reihe von Erinnerungen - dieses Mal logieren wir sehr vornehm für einen vergleichsweise lachhaften Preis im Vier-Sterne-Hotel "Zvon", direkt am großen Rathausplatz. Bei nachmittäglichen Bummel durch die Altstadt stellen wir mit Freude fest, dass sich Budweis ein Vierteljahrhundert nach der politischen Wende wieder in altem Glanz präsentieren kann.
Völlig klar, dass uns unser Stadtbummel am Ende zu den Masne Kramy, den historischen Fleischerbänken, zu Schweinsbraten, Knödeln und Kraut und natürlich zu einem zünftigen Budweiser führt.

Über Nacht hat es aufgeklart. Uns erwartet ein wunderschöner Herbsttag. Wir wollen nach Cesky Krumlov (Krumau), nur eine halbe Fahrsstunde von Budweis entfernt. Seine Altstadt wird als Kulturdenkmal auf der Liste des UNESCO-Welterbes geführt. Aber nicht nur deshalb wollen wir nach Krumau, sondern weil wir seine Altstadt aus den 80er Jahren noch als ziemlich heruntergekommen in Erinnerung haben und neugierig sind, was nach dreißig Jahren daraus geworden ist. Nur die ehrwürdige, denkmalgeschützte Burg der Rosenberger und Schwarzenberger Fürsten hoch über der Moldau bildete seinerzeit eine rühmliche Ausnahme.
Unser erster Weg führt uns hinauf zur Burg. Erster Eindruck: wahre Scharen von japanischen und anderen asiatischen Touristen, die die Szene beherrschen, Europäer in der Minderheit. Wir arbeiten uns durch bis hinauf in die Schlossgärten und registrieren erfreut, dass sich Burg, Schloss und Gartenanlagen in einem sehenswerten Zustand präsentieren. Auf die Besichtigung der inneren Räume der Burg verzichten wir im Hinblick auf das ohnehin große Gedränge.
Nachdem wir gegen Mittag unser bescheidenes Quartier in der Villa Garibaldi (es muss ja nur für eine Nacht gut sein) bezogen und vor allem unser Auto aus der Parkplatznot gerettet haben, können wir uns gelassen dem Touristengewimmel in der Krumauer Altstadt aussetzen. Unsere Begeisterung steigert sich von Gasse zu Gasse darüber, was mit privater Initiative und verständlicherweise viel Geld an Schönem und Sehenswerten wiedererstanden ist. Aus ehemaligen Bruchbuden sind unter Beachtung berechtigter denkmalschützerischer Auflagen schmucke kleine Restaurants, Pensionen und Hotels geworden. Die Stadt hat sich wieder zu einem sehenswerten Kleinod gemausert und nun stören uns auch die Menschenmassen nicht mehr.
Fußlahm ziehen wir uns am späten Nachmittag in unsere Bleibe für die Nacht zurück.

3. Oktober - Nationalfeiertag. Kein Feiertagswetter. So wie der diesjährige Sommer war, zeigt sich auch der Herbst sehr wechselhaft - es regnet. Aber da wir am Vortag in Krumau so ein prächtiges Herbstwetter haben, kommt kein richtiger Ärger auf. Auch dann nicht, als unsere geplante Fahrtstrecke moldauaufwärts über Ruzomberok, die jede der Flusswindungen mitmacht und die wir von einer Reise vor nahezu 30 Jahren noch in so angenehmer Erinnerung haben, schon nach einigen Kilometern wegen Bauarbeiten gesperrt ist und wir einen Umweg über die Berge hinüber zum Lipno-Stausee machen müssen - düstere Böhmerwaldstimmung gratis.
Mit der Staumauer über den Lipno-Stausee erreichen wir automatisch wieder die Moldau, aber nun geht es für uns flussabwärts weiter nach Vyssi Brod (Hohenfurth). Wenn schon Regen, dann haben wir viel Zeit für die Besichtigung des dortigen, überregional bedeutenden Klosters. Haben wir gedacht. Nur bis Ende September! Mit Glück können wir wenigstens einen Blick durchs Absperrgitter ins Innere der prächtigen Klosterkirche werfen.
Heute haben wir wirklich Pech auf der ganzen Linie. Auch das favorisierte Restaurant in Vyssi Brod hat wegen Urlaub geschlossen, so dass wir uns aufdem Weg hinüber nach Österreich mit dem letztmöglichen vor der Grenze begnügen müssen. Gleich nach der Grenze besorgen wir uns ein 10-Tages-Pickerl für die österreichischen Autobahnen.

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