Im Rückblick auf unsere Reisen innerhalb Europas sind wir vergleichsweise wenig in Polen gewesen. Unsere erste Tour in unser östliches Nachbarland mit altem Wartburg und unseren beiden Söhnen, die damals sieben bzw. vier Jahre alt waren und zwischen Luftmatratzen, Zelt, Kochutensilien und Klappspaten Platz fanden, war im Sommer 1976. Wir hatten uns damals gemeinsam mit Freunden in den Masuren auf einer Wiese an einem einsamen See niedergelassen und mit unseren Kindern eine unbeschwerte gemeinsame Zeit mitten in der Natur erlebt. Und nun, fast fünfzig Jahre später, wollen wir annähernd die gleiche Reise ein zweites Mal unternehmen - auch als kleine Kompensation dafür, dass wir in diesem Herbst nicht wieder mit dem Auto die lange Tour nach Spanien fahren werden.
Mittwoch, 18.09.24 Neubrandenburg - Szczecin (Stettin) - Pila (Schneidemühl) 290 km
Ein Arzttermin am Vormittag hindert uns daran, schon am Morgen loszufahren, aber kurz nach 12 Uhr sitzen wir doch schon im Auto. Die pommersche Hauptstadt Stettin umfahren wir auf der Autobahn und nehmen die Schnellstraße in Richtung Bydgoszcz, die zwar bald in eine normale Straße übergeht, aber dennoch flüssigen Verkehr zulässt. Gegen halb fünf erreichen wir das frühere Schneidemühl, 1772 mit erster Teilung Polens 1772 an Preußen gekommen und in Jahren bis zur Weimarer Republik als westpreußische Industrie- und Provinzstadt nahezu vollständig mit Deutschen besiedelt. Die 75%ige Zerstörung der Stadt am Ende des Zweiten Weltkrieges ist nicht zu übersehen und die wenig fantasievollen Nachkriegsbauten bieten kaum Attraktives, so dass wir direkt unser Zimmer im Hochhaushotel Gromada beziehen.
Donnerstag 19.9. Pila - Torun (Thorn) - Olstyn (Allenstein) 320 km
Ob das Hotel Gromada in Schneidemühl schon vor dem zweiten Weltkrieg existierte (die Hotelvereinigung ist 1937 gegründet worden) wissen wir nicht, danach wäre es sowieso nur eine Ruine gewesen. Das prächtige Interieur erweckt zumindest diesen Anschein und stammt spätestens aus den 70er/80er Jahren - seitdem ist scheinbar nicht viel passiert. Für eine Nacht war es in Anbetracht des akzeptablen Preises passend.
Nach einem schnellen Getränkekauf gehen wir schon vor neun in die Spur durch pommersche Lande nach Torun - es ist, als führen wir durch Vorpommern bzw. Brandenburg. Es ist die gleiche Straße, die wir vor 48 Jahren auf unserer Campingreise an die Masuren auch gewählt hatten - die Landstraße erlaubt nur eine moderate Fahrweise. Zumindest sind wir noch vor zwölf Uhr auf einem Parklatz am Rande der Altstadt von Thorn angekommen. Nach ersten Schritten in die Geburtsstadt von Nikolaus Kopernikus sind wir nach dem deprimierenden Anblick des im zweiten Weltkrieg total zerstörten Stadtbildes von Schneidemühl regelrecht beglückt über die schöne, unzerstörte mittelalterliche Altstadt. Die ist für uns fußläufig noch recht gut zu erschließen. Zuerst steigen wir durch das Geburtshaus von Kopernikus, schlendern dann zur Johanniskirche und zum Rathaus am Altstädter Markt, tauschen unterwegs bei einem Kantor 100 € in 420 Zloty und gelangen schließlich bis zur Jakobskirche am anderen Ende der überschaubaren Altstadt. Einschließlich Rückweg sind es nicht mehr als drei Kilometer - drei ergiebige Stunden.
Welch verschwindend kleiner Teil die Thorner Altstadt zur Gesamtgröße der Stadt ist, merken wir dann beim fast stundenlangen Herausfahren aus der Stadt in Richtung Allenstein. Zunächst durchfahren wir mit dem ehemaligen Pomerellen den damaligen Danziger Korridor und kurz vor Osterode erreichen wir das frühere Ostpreußen. Aber insgesamt kommt uns die Fahrt immer noch so vor, als würden wir durch unser Mecklenburg-Vorpommern fahren. Die geplante Fahrtzeit von 2,5 Stunden überziehen wir wegen ziemlicher Verkehrsdichte und erreichen deshalb die Innenstadt von Allenstein erst kurz vor Sonnenuntergang.
Bei der alten Ordensburg finden wir einen Parkplatz und schlendern zumindest noch eine halbe Stunde von der Burg, vorbei am Hohen Tor durch die belebte Altstadt. Nach Thorn weist uns in Allenstein die Kopernikus-Statue am Eingang zur Burg auf eine weitere Wirkungsstätte des berühmten Astronomen hin.
Bei einbrechender Dunkelheit checken wir im Hotel Hampton by Hilton (ÜF 130€) ein. Das relativ neue Hotel neben dem großen Planetarium ist ein erfreulicher Kontrast zum Hotel der vergangenen Nacht.
Freitag 20.9. Olstyn (Allenstein) - Mragowo (Sensburg) - Mikolajki (Nikoleiken) - Ryn (Rhein) - Gizycko (Lötzen) - Kuty - Wegorzewo (Angerburg) - Ketrzyn (Rastenburg) - Swieta Lipka (Heiligelinde) - Reszel (Rößel) 210 km
Unser Zimmer im Hampton war großartig, während das Frühstück wie der gesamte Lobby- und Frühstücksbereich eher IBIS-like war, aber das ist wohl dem Konzept dieser Garnihotelkette von Hilton geschuldet. Erstaunt sind wir bei unserem Aufbruch kurz vor zehn, wie groß Allenstein als Hauptstadt der Woiwodschaft Ermland/Masuren tatsächlich ist. Auf unserem Weg nach Osten dauert es eine ganze Weile, ehe wir aus der Stadt heraus auf die neue Schnellstraßen S16 kommen. Zumindest bis Sensburg reicht die Schnellstraße, dann geht es auf herkömmlicher schmaler Straße weiter. In Nikolaiken machen wir eine Pause an der Pier der Ausflugsschiffe und fahren dann nach Lötzen, wo uns die gesperrte Drehbrücke etwas ausbremst und alte Erinnerungen verhindert. Wir könnten direkt weiter nach Rastenburg fahren, haben aber genügend Zeit für einen Umweg in das Dörfchen Kuty Zwischen Lötzen und Angerburg, wo wir vor 48 Jahren mit unseren Jungs urwüchsige Campingerlebnisse hatten. Die Zufahrt durch den Wald zu „unserem“ See abseits des Dorfes ist leider gesperrt, aber für die Erinnerung, damals 15 km von der Grenze zum russischen Oblast Königsberg unseren Jahresurlaub verbracht zu haben, hat es gereicht.
Angerburg, wo wir damals beim illegalen Geldtausch betrogen wurden, ist dieses Mal recht nichtssagend, so dass wir unmittelbar nach Rastenburg weiterfahren. Dort finden wir Zeit für den Besuch der alten Ordensburg, bevor wir auf schmalen Landstraßen den Weg zur berühmten Barockkirche nach Heiligelinde finden. Dort erleben wir noch eine Abendandacht mit Orgelkonzert und erreichen kurz vor Sonnenuntergang die alte Ordensburg in Rößel, wo wir uns für die Nacht im Hotel (ÜF 91€) im alten Burggewölbe einquartiert haben.
Als Gäste in der Burg konnen wir sogar am Abend noch die alten Folterkeller besuchen, die uns einige Schauer über den Rücken fahren lassen. Angenehmer ist es dann eine Etage höher im Gewölbe des Hotelrestaurants und vor allem in unserem Hotelzimmer mit dicken, an die frühere Ordensritterzeit angelehnten Naturholzmöbeln.
Samstag 21.9. Reszel (Rößel) - Lidzbark Warminski (Heilsberg) - Buczyniec (Buchwalde) - Frombork (Frauenburg) 210 km
Die Nacht war ziemlich kühl und wir mussten mit wärmendem Pullover ins Bett gehen. Aber das vorzügliche Frühstück im Gewölbe der mittelalterlichen Burg hat uns voll entschädigt.
Wir haben zwar Zeit für einen Umweg über Heilsberg, um noch einmal einen Blick auf die dortige imposante Burg der Deutschordensritter zu werfen, müssen dann aber doch recht zügig über teilweise schlimme Regionalstraßen fahren, um rechtzeitig nach Buczyniec (Buchwalde) am Oberländischen Kanal zu gelangen, wo wir als Highlight unserer gesamten Tour eine Fahrt mit kleinem Ausflugsschiff über ein paar Berge gebucht hatten.
Eine entsprechende Ausschilderung finden wir allerdings nicht und kommen etwas verunsichert im Dorf Buchwalde an - nahezu am Ende der Welt. Nachdem wir uns durchgefragt haben, erreichen wir noch rechtzeitig vor Abfahrt unser Schiff.
Der im Jahr 1860 eröffnete Oberländische Kanal zwischen Osterode und Elbing stellt im Abschnitt zwischen Buchwalde und dem hundert Meter tiefer liegenden Elbing mit seinem Zugang zur Ostsee auch heute noch eine besondere touristische Attraktion dar, indem Schiffe auf Schienen die Berge hinab bzw. hinauf gerollt werden. Zur Überwindung des beträchtlichen Höhenunterschiedes zwischen den Masurischen Seen und der Ostsee wurden seinerzeit an fünf geeigneten Geländeabschnitten Standseilbahnen eingerichtet, über die die Schiffe auf Schienenwagen über Land transportiert werden - ein beeindruckendes und noch heute voll funktionstüchtiges technisches Denkmal deutscher Ingenieurkunst.
Nach der eindrucksvollen dreistündigen Fahrt mit dem Schiff über drei dieser Rollberge und zurück haben wir noch 70 km vorn uns, teils auf weiteren abenteuerlichen Landstraßen, teils auf der Schnellstraße von Danzig nach nach Königsberg, um zur nächsten bedeutenden Wirkungsstätte von Kopernikus nach Frauenburg am Frischen Haff zu kommen.
Frauenburg ist eigentlich nur ein recht kleiner Ort, ist aber durch seinen architektonisch sehr bedeutsamen Dom weithin bekannt, in der Kopernikus als Domherr und Administrator lange gewirkt hat und dort auch begraben wurde. Leider können wir wegen einer Hochzeit nur einen schnellen Blick in diese gewaltige Kathedrale werfen. Wir übernachten im Hotel Kopernik.
Sonntag 22.9. Fromburk (Frauenburg) - Elblag (Elbing) - Malbork (Marienburg) - Gdansk (Danzig) 140 km
Eine Busgesellschft war über Nacht im Hotel in Frauenburg untergebracht - entsprechend reichhaltig und vielfältig fällt das Frühstück am Morgen aus. Auf unserem Weg nach Danzig machen wir einen Stopp in Elbing mit seiner zum Kriegsende weitgehend zerstörten Altstadt, an der noch immer nach altem Vorbild gebaut wird.
Bei unserer Urlaubstour vor knapp fünfzig Jahren hatten wir mit unseren Jungs auch die Marienburg an der Nogat besucht, die größte der Burgen der Deutschordensritter und größte Backsteinburg Europas, von wo aus die Hochmeister des Deutschen Ordens ihr ausgedehntes Herrschaftsgebiet, das zeitweise von der Weichsel bis ins heutige Estland reichte, regierten. Wie seinerzeit parken wir auf der linken Flussseite und gehen über die Holzbrücke zur Burg. Mit einem guten Audioguide ausgestattet wandern und steigen wir drei Stunden lang durch die ausgedehnte Burganlage und sind sehr beeindruckt von den hervorragenden Restaurierungsarbeiten.
Nachdem wir am späten Nachmittag für zwei Nächte in das recht zentrumsnahe Novotel auf der Speicherinsel (Wyspa Spichrzów) eingecheckt haben (das Parken unseres Autos vor dem Hotel ist ebenso teuer wie das gebuchte Frühstück), gehen wir zumindest noch den kurzen Weg über die Mottlau und durch das Grüne Tor (Zielona Brama) in die historische Altstadt und staunen wie schon vor fünf Jahrzehnten über den weitgehend originalen Wiederaufbau der alten Patrizierhäuser.
Montag 23.9. Danzig
Nach reichhaltigem Frühstück wandern wir wieder die paar Schritte über die Mottlau und weiter am Mottlau-Kai entlag zum Krantor, das allerdings eine Baustelle und nicht zugänglich ist. An der Flussbiegung, die gleichzeitig das Ende der mittelalterlichen Altstadt markiert, wenden wir uns nach Westen zu den Grünanlagen anstelle der lange geschleiften Befestigungsanlagen, Wälle und Stadtmauern (Podwale Staromiejskie), schlendern durch die neugotische Markthalle, kommen weiter zum Holzmarkt mit Sobietzki-Denkmal und über den Kohlenmarkt zum Großen Zeughaus aus dem 17. Jahrhundert. Noch etwas pflastermüde vom Vortag schlendern wir mit Unterbrechungen zur Marienkirche, der angeblich größten mittelalterlichen Backsteinkirche der Welt. Das gewaltige Kirchenschiff beeindruck uns sehr und besonders auch die alte astonomische Uhr in der Kirche - sie funktioniert zwar nicht mehr, aber gehört weltweit neben der Uhr in der Rostocker Marienkirche zu den ganz wenigen erhaltenen Exemplaren gleicher Bauweise. Im Verlauf des Nachmittages wandern wir noch zum Goldenen Tor am anderen Ende der Dluga-Straße, die die Fortsetzung des Langen Markte (Dlugi Targ) bildet, und wenige Schritte darüber hinaus zum Hohen Tor und zur mittelalterlichen Stockkammer mit Peinhaus. Schließlich besichtigen wir noch das Museum zur Geschichte der Stadt im Rathaus am Langen Markt mit seinem prächtigen Roten Saal und andern repräsentativen Räumen. In diesem Museum wird uns die schlimme Zerstörung Danzigs am Ende des Zweiten Weltkrieges vor Augen geführt und damit auch die enorme Leistung der polnischen Bauleute und Restauratoren in den vergangenen achtzig Jahren, um den heutigen durchaus attraktiven mittelalterlichen Anblick wieder herzustellen. Den Rest des Nachmittages verbringen wir in erster Reihe eines Restaurants am Langen Markt mit Leutegucken.
Dienstag 24.8. Gdansk (Danzig) - Koszalin (Köslin) - Swinoujscie (Swinemünde) - Neubrandenburg 480 km
Weil wir in den wenigen Tagen so viele schöne Eindrücke gesammelt haben, wollen wir heute ohne weitere Übernachtung nach Hause fahren und dabei zum ersten Mal in Swinemünde durch den nagelneuen Tunnel die Oder unterqueren. Bis zur Kaschubei im Grenzbereich des früheren Hinterpommern zur früheren Freien Stadt Danzig klappt das sehr gut auf vierspuriger Schnellstraße, dann erleben wir allerdings im Zuge des weiteren Ausbaus der alten Fernstraße 6 zur Schnellstraße S6 eine Baustelle nach der anderen. In Köslin, unserer Partnerstadt, die ebenso wie Neubrandenburg am Ende des letzten Krieges von den Russen angezündet wurde, machen wir eine kurze Einkaufspause und biegen ausgerechnet dort, wo die verschiedenen Baustellen zu Ende sind, auf eine schmale Landstraße zur Insel Wolin ab. Nach eine Stunde erreichen wir die Schnellstraße von Stettin nach Swinemünde und kommen prompt in das gleiche Baugeschehen des Ausbaus eine Fernstraße zur vierspurigen Schnellstraße. In Swinemünde werden wir automatisch zum neuen Oder-Tunnel geführt und gönnen uns in der Swinemünder Altstadt, die ja schon auf der Insel Usedom liegt, einen schönen Kaffee und ein Stück Torte.
Nach tagelangem besten Sonnenschein fängt es an der Stadtgrenze von Swinemünde an zu regnen, der uns bis nach Hause begleitet.