Jiřikov 2012
Eine Reise in die Vergangenheit

Jiřikov ist ein kleines Städtchen mit rund 4.000 Einwohnern im nördlichsten Zipfel der Tschechischen Republik. Vom benachbarten sächsischen Ebersbach führt eine Straße herüber, bis zum Marktplatz von Jiřikov läuft man nicht einmal eine Viertelstunde.
Das Städtchen hieß seit seiner Gründung durch deutsche Siedler aus Franken, Hessen, Thüringen und Sachsen um das Jahr 1240 zuerst Jergiswalde, danach bald Georgswalde. Im Jahr 1931, lange vor dem Müncher Abkommen und dem Anschluss an das Deutsche Reich, lebten in Georgswalde (ohne den heutigen Ortsteil Filipov) nach offizieller Zählung 7468 Deutsche, 257 Tschechen und 239 Ausländer. Bis auf wenige Ausnahmen wurden bis Ende 1946 alle Deutschen aus der Stadt, die von nun an Jiřikov heißt, enteignet und gewaltsam vertrieben. In die freigezogenen Häuser wurden, sofern diese nicht von Kriegsgewinnlern für sich beansprucht worden waren, heimatlos gewordene Tschechen, Slowaken und Roma eingewiesen.

Kristi ist in Georgswalde geboren. Wie ihre Eltern. Wie ihre Vorfahren, die bis ins 17. Jahrhundert in Georgswalde nachweisbar sind. Im Alter von nicht einmal drei Jahren musste Kristi wie alle anderen Verwandten ihre Heimat verlassen. Sie hat verständlicherweise keine persönlichen Erinnerungen an Georgswalde, aber es zieht uns in größeren Abständen immer wieder mal an den Ort ihrer frühesten Kindheit.
Bei unserem diesjährigen Besuch haben wir gezielt nach den Häusern, in denen einst Kristis Vorfahren und Verwandte lebten, und nach den Fabrikgebäuden, die sie einst errichtet hatten, gesucht. Verschiedene dieser Häuser sind schon vor langer Zeit abgebrannt oder abgerissen worden, einige befinden sich infolge der Besiedelung mit Roma in einem erbärmlichen Zustand, anderen sieht man die Spuren der Zeit an, aber eine ganze Reihe von Häusern sind von ihren aktuellen Besitzern vorbildlich saniert worden.

Unsere nüchterne Betrachtung, frei von jeglicher Sentimentalität: Jiřikov und Georgswalde sind zwei verschieden Dinge.
Das frühere Georgswalde hat mit der Vertreibung nahezu der gesamten Bevölkerung nach Ende des Zweiten Weltkrieges quasi aufgehört zu existieren. Das neue Jiřikov müht sich bis heute um eine urbane und wirtschaftliche Konsolidierung. Bis auf die alten, vielfach über hundertjährigen Bauten sind die Spuren der Vergangenheit, insbesonder die der ehemaligen deutschen Bewohner, mehr und mehr verwischt. Nur sehr zögerlich stellt sich Jiřikov seiner tatsächlichen 700-jährigen Geschichte.
© Horst Uhlemann